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Ein Aufprall, Stille und auf einmal verändert sich das ganze Leben. Ich war Schauspielerin, hatte ein Jahr vorher meinen Abschluss gemacht und viele Pläne. An einem grauen Tag mit Schneeregen habe ich erfahren, dass das Leben sich nicht an meinen Plan halten muss. Blitzeis. Ein Autounfall.

Manchmal kann man Katastrophen nicht verhindern. Manchmal lassen sich Ereignisse auch Jahre später nicht erklären. Ich habe in den letzten fünf Jahren viel erlebt. Ich wurde um Antworten auf Fragen gebeten, von denen ich nicht dachte, dass ich sie jemals stellen müsste.

Was kann man erwarten, wenn man ungebremst in ein stehendes Auto fährt? Den Tod? Fehlende Gliedmaßen? Eine Rückenmarksverletzung? Meine spektakulärste Verletzung war wahrscheinlich mein Daumen, der in einem unnatürlichen Winkel von der Hand hing. Das hat mir nicht gefallen, also habe ich ihn eingerenkt.

Das war der letzte schmerzfreie Moment meines Lebens. Am Tag meines Unfalls hat alles lange gedauert. Es gab zu wenig Krankenwägen und in der Notaufnahme nur einen Arzt für viele Unfallopfer. Mein Oberkörper war gequetscht und überzogen von einem riesigen schwarzen Hämatom. Im Krankenhaus habe ich zweimal kurz das Bewusstsein verloren und doch war ich abends auf dem Weg zurück nach Hause. Entlassen mit Ibuprofen und der Empfehlung zum Hausarzt zu gehen.

Eine Behinderung die keiner sieht

Ich bin nicht gestorben. Aber ich bin auch nicht gesund geworden. Hinter mir liegen eine Operation, viele Krankenhausaufenthalte, noch mehr Arztbesuche und tägliche Therapien. Wut, Verzweiflung, Angst, Scham, Trauer und Hilflosigkeit begleiten mich seitdem.

Ich habe gelernt, dass meine Befunde meine Schmerzen für viele Fachkräfte nicht ausreichend erklären. Dass der Fakt, dass ich mit 140 km/h in ein stehendes Auto gerast bin, nicht ausreicht. Und dass auch schwerwiegende neurologische Symptome wie Doppelbilder, Inkontinenz und Sprachstörungen nur Symptome sind, solange keine Diagnose gestellt werden kann.

Und noch immer fühle ich mich gedrängt, mich zu rechtfertigen. Es scheint normal, dass Menschen sich von schweren Unfällen erholen. Doch wer definiert normal? Lange konnte ich mich nicht freuen, überlebt zu haben. War ich nicht dankbar dafür, meinen Körper noch benutzen zu können, selbst wenn ich viele Pausen brauche. Ich habe mir sogar gewünscht, dass "genug" passiert wäre, um Hilfe zu bekommen.

In meiner Behandlung ist viel schiefgelaufen: Ich wurde nicht gehört oder in Schubladen gesteckt. Ich wurde als Patientin, die nicht genug oder einfach alles falsch macht, abgestempelt, egal wie strebsam ich meine Therapien durchgezogen habe. Mir wurden Wahrscheinlichkeiten an den Kopf geworfen und es wurde davon ausgegangen, dass es keine Ursache gibt, wenn keine gefunden wird. Ich war irritiert und habe all diese Sachen verinnerlicht. Habe mit all meiner Kraft verbissen gegen meine Situation gekämpft.

Unser Gesundheitssystem kennt keinen Raum für Ausnahmen

Erst am Ende meiner Kräfte habe ich realisiert, dass ich aufhören muss gegen mich zu kämpfen und akzeptieren sollte, was ich nicht ändern kann. Ich habe aufgehört es persönlich zu nehmen, wenn Ärzt:innen in ihrer eigenen Ratlosigkeit mir die Schuld zuschieben, weil ich gemerkt habe, dass es in unserem Gesundheitssystem keinen Raum für Ausnahmen gibt.

Alle wollen "outside the box" denken, ohne zu bemerken, dass die Schubladen an sich das Problem sind. Während wir versuchen Menschen in unsere Vorstellung von Normalität zu packen, übersehen wir, dass Unvorstellbares vor unserer Nase passiert.

Im Internet sind wir viele

Diese Erkenntnis kam mir weder während eines Krankenhausaufenthaltes, noch während der Psychotherapie, sondern im Internet.

Erst als ich angefangen habe, meine Geschichte im Internet zu teilen, habe ich eine ganze Welt mit chronisch kranken und behinderten Menschen entdeckt, die sich oft die gleichen Fragen stellen wie ich. Ich habe gelernt, dass das soziale Modell der Behinderung davon ausgeht, dass die Umwelt, sich an die Bedürfnisse der Menschen anpassen sollte. Mir ist klar geworden, dass ich sehr großes Glück habe und sich mein Wert nicht durch meine Leistungsfähigkeit definiert.

Früher wollte ich auf der Bühne stehen um Geschichten Anderer zu erzählen, heute möchte ich meine Geschichte erzählen, um Anderen zu helfen.

Ich bin nicht mehr allein. Und dieses Gefühl möchte ich zurückgeben. Es scheint banal, darüber zu bloggen, dass mir alltägliche Aufgaben schwerfallen und zu teilen, wenn ich es geschafft habe mir Routinen aufzubauen, um diese irgendwann wieder zu verlieren. Es ist wertvoll zu sehen, dass wir nicht das perfekte Leben anstreben müssen um unser Leben, so wie es ist, genießen zu können.

Digitale Medizin für alle Menschen

Ich wünsche mir, dass Chancen im Gesundheitswesen für Patient:innen genutzt werden. Die Digitalisierung bietet Möglichkeiten zur Entlastung des Personals und für eine individuelle Behandlung. Mit dem Verband Patients4Digital, der sich gerade in Gründung befindet, möchten wir Patientenzentrierung in der digitalen Gesundheit sicherstellen. Speziell für Menschen ohne Diagnose, wie mich, bietet gebündeltes Wissen über Symptome und Ausprägungen seltener Erkrankungen Perspektiven.

Hätte mir nach meinem Studium jemand erzählt wie mein Leben verlaufen wird, hätte ich der Person nicht geglaubt. Es gibt noch immer Tage, an denen ich mir wünsche, die Zeit zurückdrehen zu können. Mittlerweile überwiegen, die Tage, an denen ich dankbar für jeden Moment bin, den ich noch erleben darf und an denen ich mich über meinen naiven Wunsch, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen, freue.

Die Welt ist viel mehr als wir kennen. Manchmal müssen wir einfach aufmerksamer hinsehen, selbst wenn wir doppelt sehen.