„Das Konzept Praxis neu denken!“
Ich hatte großes Glück mit einem Hausarzt als Vater aufzuwachsen. Ich war nie richtig krank. Stattdessen hieß es häufig "Leg dich einfach mal zwei Tage ins Bett". Mir war damals nicht klar, wie privilegiert das war, es erschien mir nicht einmal als etwas Besonders. Die Antwort, die ich auf Beschwerden bekam, war ja nie wirklich relevant, eher nichtssagend. Später verstand ich, dass es erst durch die dauerhafte Nähe zu einem Arzt möglich war, so einfach durch Bettruhe "therapiert" zu werden.
Natürlich ist mir klar, dass nicht alle Menschen eigene "Leibärzt:innen" haben können. Dennoch wäre gerade das heutzutage technologisch quasi möglich. Nur angekommen ist es bisher bei niemandem. Wieso eigentlich?
Technologie soll Ärzt:innen entlasten
Gehen wir einen Schritt zurück. Auf der einen Seite wurden in den vergangenen Jahren Aufgaben von Expert:innen, seien es Anwält:innen, Designer:innen, Ingenieur:innen und eben auch Ärzt:innen, mehr und mehr von Technologie übernommen.
Nicht sofort und nicht überall, aber bei Tätigkeiten, wo es viel Wiederholung gibt, wo Anwendungen sich ähneln. In Bezug auf Gesundheit sind das alltägliche Diagnosen wie ein Schnupfen, oder (einfache) chronische Themen.
Auf der anderen Seite integrieren wir als Kund:innen technologische Entwicklung zunehmend in unseren Alltag. Ob in den Bereichen Mobilität, Banking oder Shopping. Wenn es um unsere Gesundheit geht, steht allerdings noch der Arzt bzw. die Ärztin im Mittelpunkt. Und das auch völlig zu Recht.
Aber das wird in der Form wie wir sie heute sehen nicht so bleiben können. Ärzt:innen kümmern sich im Alltag um viele Themen, die keine konkrete Erfahrung erfordern: Folgerezepte ausstellen, Krankschreibungen validieren, Abrechnungen erledigen oder auch das nächste IT-System auswählen.
Gleichzeitig werden Mediziner:innen überrannt von digitalen Möglichkeiten: Symptomchecker hier, Terminbuchungsportal da, künstliche Intelligenz in der Diagnostik und Therapie und DiGAs. Dabei ist jedenfalls der Großteil der deutschen Ärzteschaft kein Digital Native, sondern im Schnitt schon über 50 Jahre alt. Es ist nachvollziehbar, wenn die eigentliche Zielgruppe dieser Innovationen nicht sofort auf jedes Digitalthema aufspringen möchte.
Patient:innen wollen Gesundheit auf dem Smartphone managen
Somit bleiben letztlich leider auch die Patient:innenbedürfnisse auf der Strecke. Unser Leben findet zum Großteil auf dem Smartphone statt und so wollen wir zunehmend auch unsere Gesundheit managen. Aber selbst wenn die Apps uns ansprechen und immer intuitiver werden, helfen diese uns wenig, solange meine Vertrauensperson, mein Arzt, meine Ärztin nicht mitmacht.
Wie können Ärzt:innen zu ständigen Begleitern werden?
Gute neue Konzepte müssen ganzheitlich alle Parteien einbinden. Das heißt eben auch, einfach mal das Konzept Praxis neu zu denken. Dabei kann man gleich auch ein paar weitere Herausforderungen adressieren. Den Wunsch junger Ärzt:innen nach flexibleren Arbeitszeiten, weniger Einzelkämpfertum und mehr Arbeit in Teams zum Beispiel.
Oder das sinkende Interesse an den unternehmerischen Herausforderungen im ambulanten Bereich und den Wunsch, sich wieder mehr aufs Medizinische zu konzentrieren. Und es muss die Versorgung in der Fläche, insbesondere in strukturschwachen Regionen, neu gedacht werden.
Beim ersten Husten am Smartphone abholen
Wir müssen also die Offenheit entwickeln für Konzepte, die bestehende Strukturen aufbrechen. Die nicht einfach nur Ärzt:innen in Zoom-Calls schicken wollen, um Telemedizin anzubieten, ihnen aber genau die gleiche Zeit abverlangen wie ein Patient:innengespräch vor Ort.
Wir brauchen vielmehr eine ärztliche Praxis, die den Menschen schon beim ersten Husten am Smartphone abholt und hilft, den nächsten richtigen Schritt zu gehen. Der häufig eben doch nur einmal ins Bett oder direkt zur Apotheke führt.
Lösungen müssen Patient:innen digital und analog begleiten, 24/7 erreichbar sein und bis zur vollständigen Genesung auch im Umgang mit Medikamenten oder bei Therapiemaßnahmen unterstützen. Es kann ja nicht sein, dass man die Praxis verlässt und schon vergessen hat, ob man nun morgens 1 und abends 2 Pillen einnehmen muss, oder doch umgekehrt. Gleichzeitig brauchen wir Modelle, das Ärzt:innen weniger Zeit abverlangen.
Rat und Hilfe ohne das Sofa zu verlassen
Zudem ließen sich auch ganze Patient:innenpfade ausgliedern und so abbilden, dass niemand mehr sein Sofa verlassen muss. Menschen, die beispielsweise unter Akne leiden, müssen sich heute auf einen egelmäßigen Spießrutenlauf zwischen Hausarzt oder Hausärztin, Dermatologie und Apotheke einstellen. Wieso geht das nicht digital, per App? Von der Diagnostik bis zur dritten Folge-Medikamentation mit personalisierter Salbe.
All das ist möglich und eine digitalgestützte umfassende Grundversorgung wird auch irgendwann für Jede und Jeden zur Normalität werden sein, ob für Ärzt:innen, Versicherungen oder Patient:innen. Denn nur so lassen sich die Herausforderungen des Gesundheitswesen bewältigen: effizienter, personalisierter und basierend auf objektiven Daten.
Bis dahin muss aber noch viel passieren. Es bedarf insbesondere wagemutiger Unternehmer:innen, Ärzt:innen und Kapitalgeber:innen. Mit Heal Capital wollen wir unseren Beitrag dazu leisten und sehen mehr und mehr erfolgreiche Gründer auch im Gesundheitsmarkt. Das stimmt uns positiv, dass auch unsere Gesundheit bald so betreut wird, als hätten wir alle persönliche Leib:ärztinnen. Wobei, manchmal werde ich vielleicht dann doch nochmal Zuhause anrufen.